Seit einiger Zeit gibt es jetzt schon einen regelrechten Selfcare-Wahn. Auf den sozialen Medien wird non-stop propagiert, wie wichtig Me-Time ist und dass wir mentale Stärke erlangen, wenn wir lernen, Grenzen zu setzen. Doch ist das wirklich so gut oder füttern wir damit nur den allgemeinen Egoismus?

Vor Wochen habe ich einmal ein Instagram-Reel gesehen, in dem eine junge Frau ausführlich erklärt, weshalb massives Grenzensetzen zu Einsamkeit führen würde. Sie sprach davon, dass eine zwischenmenschliche Beziehung nun einmal davon lebe, dass man auch Dinge tue, auf die man keine Lust habe. Das hat mich neugierig gemacht und ich wollte mehr über das Thema wissen. (Keine Sorge, meine persönliche Meinung wird es auch noch geben.)

In Zeiten von unbegrenzter Erreichbarkeit und Informationsoverload wird es immer wichtiger, auch mal zu entschleunigen. Dafür gibt es viele Tipps und einer bekommt schon länger eine immer wichtigere Rolle: Sag öfter Nein! Die Peoplepleaser unter uns können also beruhigt aufatmen. Es ist ok, nicht immer überall dabei zu sein und nicht jedes Mal alles für andere Menschen zu tun, bis man sich selbst vergisst. Das ist eine fantastische Entwicklung! Die eigene (mentale) Gesundheit ist ein kostbares Gut, das es zu schützen gilt. Aber Selfcare ist nur so lange gut, bis sie zur Selbstsucht wird.

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Immanuel Kant

Rollen wir mal das Feld von hinten auf. 70 % der Angehörigen der Generation Z geben an, sich mindestens gelegentlich einsam oder sozial isoliert zu fühlen. (Quelle: zipdo.co) Das ist eine gewaltige Zahl. Doch woher kommt das? Oft werden die sozialen Medien benannt, sowie die folgen der Corona-Pandemie. Einige Menschen haben nach den Lockdowns nicht mehr zurück in das analoge Miteinander gefunden. Doch vielleicht steckt auch etwas anderes dahinter.

Jamil Zaki, Psychologe an der Stanford Universität sagt, es sei „ironisch“, dass die 2020er Jahre zwar den Boom der Selfcare erlebt haben, viele dieser Praktiken aber auf Alleinsein statt auf Verbindung setzen. „Sich um sich selbst kümmern“ sei gut, aber echtes Gedeihen passiere gemeinsam, nicht im Rückzug. Psychisches Wohlbefinden wachse durch Verbindung, nicht durch dauerhafte Abschottung.

Und diese Abschottung passiert gerne auch mal unbewusst, durch exzessives Setzen von Grenzen. Klar, keiner hat Lust, immer für alles bereit zu stehen. Manchmal will man einfach lieber zuhause bleiben, als mit den Freunden feiern zu gehen. Aber dadurch können Bindungen auch an Festigkeit verlieren. Ich selbst würde auch für niemanden die Extrameile gehen, der mich nicht auch (zumindest ab und an) unterstützt. Kann ja sein, dass so ein Umzug nervig und anstrengend ist, aber sollte man es nicht einfach durchziehen, um dann die Gewissheit zu haben, dass man auch an passender Stelle einen Gefallen einfordern kann?


Kurzer Exkurs:

Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass man ein stärkere Sympathie für einen Menschen empfindet, der einen um einen Gefallen bittet. Forscher nennen es den „Ben-Franklin-Effekt“. Diese Sympathie hilft natürlich auch die eigenen Beziehungen zu pflegen.


Sich von toxischen Menschen und Verhaltensmustern abzugrenzen ist super! Leider nutzen einige Menschen das Wissen über die Wichtigkeit des Neinsagens, für egoistische Zwecke aus. Sie drücken sich damit vor einfach allem, was ihnen zu nervig oder anstrengend ist. Und das ist nicht ok, denn darunter leidet das menschliche Miteinander. Wenn niemandem mehr geholfen oder zugehört wird, werden wir zynisch und depressiv. Wieso noch an das Gute im Menschen glauben, wenn jeder nur sich selbst der Nächste ist?

Man darf sich selbst nicht vergessen und muss mit der eigenen Energie haushalten. Gleichzeitig dürfen wir aber nicht Nächstenliebe, Empathie und Fürsorge vergessen. Meine beste Freundin ist zum 1.000sten Mal auf einen miesen Typen reingefallen und weint? Natürlich höre ich ihr zu, auch wenn ich eigene Probleme habe. Mein Cousin zieht um und ich habe an diesem Tag freie Kapazitäten? Selbstverständlich trage ich ihm ein paar Kartons. Wenn man selbst irgendwann Hilfe erwartet in schwierigen Situationen, muss man auch bereit sein, anderen zu helfen.

Es ist ok, an manchen Tagen so viel mental load mit sich zu tragen, dass man nichts mehr zusätzlich für Andere tun kann. Doch pauschal alles abzulehnen, was auch nur im Entferntesten unangenehm für einen sein könnte, ist es nicht. Seit Urzeiten besteht das menschliche Miteinander aus Geben und Nehmen. Das ist essenziell für sämtliche soziale Interaktionen. Lasst uns also gegenseitig füreinander da sein Verständnis zeigen und keine Bequemlichkeitsmauern errichten.

„Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch.“ (Matthäus 7,12)

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