Als ich 12 Jahre alt wurde, schenkte meine Schwester mir zum Geburtstag einen Buchschuber mit einer vollständigen Trilogie. Ich hatte auch schon zuvor gelesen, aber noch nie hatte ich das als mein Hobby betrachtet. An diesem Tag änderte sich das.

Innerhalb von einer Woche las ich alle drei Bücher (insgesamt mehr als 900 Seiten) und in mir wurde eine Leidenschaft geweckt. Was als Flucht aus dem Alltag begann, wurde bald zu einem Verlangen nach Bildung. Ich entschied mich, Germanistik zu studieren und wie zu erwarten, eroberte die Literaturwissenschaft mein Herz. Bereits mit 14 hatte ich mich mit Friedrich Dürrenmatt und William Shakespeare auseinandergesetzt. Naja, zumindest so, wie man es in der 8. Oder 9. Klasse eben tat. Aber ich war davon so fasziniert, dass ich mich während meines Studiums immer mehr in die klassische Literatur verliebte.

An ein Ereignis aus meiner Schulzeit erinnere ich mich noch ganz genau. Wir hatten eine Themenwoche zum Zweiten Weltkrieg und unsere Deutschlehrerin hatte uns ein Arbeitsblatt mit einer Kurzgeschichte darauf ausgehändigt. „Die Küchenuhr“ von Wolfgang Borchert.


Da hob er wieder die Uhr hoch und er lachte. Er lachte: Nur sie hier. Sie ist übrig. Und das Schönste ist ja, dass sie ausgerechnet um halb drei stehen geblieben ist. Ausgerechnet um halb drei.


Während die meisten meiner Mitschüler so Phrasen wie „Der redet ja nur wirres Zeug, was sollen wir uns daraus entnehmen?“ verlauten ließen, war ich so tief in diese Erzählung eingetaucht, dass ich richtig emotional wurde.

Ich spürte eine zuvor nie gekannte Melancholie. Was dieser Autor in mir auslöste, allein durch seine Worte, war für mich faszinierend. Wolfgang Borchert schreibt für mich nicht über Erlebnisse, er nimmt mich bei der Hand und zieht mich in sie hinein. In diesem Moment, damals im Deutschunterricht, wusste ich: Ich hatte eine andere Beziehung zu Worten und Sprache als die meisten. 

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